cargo-kult-wissenschaft


Wir sollten uns also Theorien, die nicht funktionieren, und Wissenschaften, die keine sind, sehr genau anschauen.

Ich glaube, die (...) Untersuchungen, die ich erwähnt habe, sind Beispiele für das, was ich als Cargo-Kult-Wissenschaft bezeichnen möchte. In der Südsee gibt es bei bestimmten Völkern einen Cargo-Kult. Während des Krieges sahen sie, wie Flugzeuge mit vielen brauchbaren Gütern landeten, und nun möchten sie, daß das wieder geschieht. So sind sie übereingekommen, Landebahnen anzulegen, seitlich der Landebahnen Leuchtfeuer anzuzünden, eine Hütte aus Holz zu bauen, in der jemand mit einem hölzernen Apparat sitzt, der wie ein Kopfhörer aussieht und in dem Bambusstöcke als Antennen stecken - das ist der Fluglotse - , und sie warten darauf, daß die Flugzeuge landen. Sie machen das jede Nacht. Die Form ist perfekt. Es sieht genauso aus, wie es früher aussah. Aber es funktioniert nicht. Es landen keine Flugzeuge. All das nenne ich Cargo-Kult-Wissenschaft, weil es anscheinend allen Rezepten und Formen der wissenschaftlichen Forschung folgt, aber etwas Wesentliches verfehlt, denn die Flugzeuge landen ja nicht.

Nun obliegt es mir natürlich, Ihnen zu sagen, was dabei verfehlt wird. (...) Aber mir fällt auf, daß es etwas gibt, das bei der Cargo-Kult-Wissenschaft im allgemeinen fehlt. (...) Es handelt sich um so etwas wie wissenschaftliche Integrität, um einen Grundsatz des wissenschaftlichen Denkens, der gleichsam äußerster Ehrlichkeit entspricht - etwas, worum man sich in jeder nur erdenklichen Weise bemüht. Wenn Sie zum Beispiel ein Experiment durchführen, sollten Sie alles mitteilen, was es Ihrer Meinung nach ungültig machen könnte - nicht nur das, was Ihrer Meinung nach daran stimmig ist: andere Ursachen, die möglicherweise Ihre Resultate erklären könnten; und Dinge, an die Sie gedacht und die Sie durch ein anderes Experiment ausgeschaltet haben, und wie diese Dinge funktionierten - damit andere sichergehen können, daß sie auch wirklich ausgeschlossen worden sind.

Einzelheiten, die geeignet sein könnten, Ihre Deutung zweifelhaft erscheinen zu lassen, müssen preisgegeben werden, wenn Sie sie kennen. Falls Sie überhaupt wissen, daß irgend etwas nicht stimmt - oder möglicherweise nicht stimmt - , müssen Sie Ihr Bestes tun, um es zu erklären. Wenn Sie beispielsweise eine Theorie aufstellen und publik machen oder vorbringen, müssen Sie neben den Tatsachen, die mit ihr übereinstimmen, auch all jene darlegen, die nicht mit ihr übereinstimmen. Es gibt aber ein noch subtileres Problem. Wenn Sie eine Reihe von Ideen zusammengebracht haben, um eine ausgefeilte Theorie aufzustellen, sollten Sie, wenn Sie erklären, worauf sie paßt, sicherstellen, daß die Dinge, denen sie entspricht, nicht eben jene sind, die Ihnen den Gedanken zu dieser Theorie eingegeben haben, sondern daß sich durch die fertige Theorie darüber hinaus noch etwas anderes ergibt.

Kurz, es geht darum, alle Informationen zu liefern, durch die andere den Wert Ihres Beitrags beurteilen können, und nicht nur jene Informationen, die zu Urteilen in dieser oder jener bestimmten Richtung führen.

(Richard P. Feynman: "Sie belieben wohl zu scherzen ... , p. 451 f.) (nach oben)

12. märz 2007   (zurück)   // home / lifeline / stichworte